Artikel von Nicola Berg, erschienen in „Tierschutz Hilchenbach “aktuell“ 1998“
Je oller, je doller
Im März dieses Jahres erreichte uns ein Anruf, dass die Besitzerin von 7 Kleinspitzen verstorben sei. Für 5 dieser Tiere konnte schnell ein neues Zuhause gefunden werden. Aber ein älteres Pärchen saß quasi auf der Straße.
Solche Notrufe erreichten uns schon öfter, denn da für ältere Tiere fast keine Vermittlungschance besteht, müssen sie häufig eingeschläfert werden, obwohl sie gesund sind und noch einige schöne Jahre verbringen könnten. Seit längerem haben wir deshalb zwei “Seniorenplätze“ eingerichtet. Für uns bedeutet das, dass zusätzlich zu unseren eigenen vier Hunden noch ein bis zwei unvermittelbare, alte Tiere zur Familie gehören.
Den Anfang machte damals Asta. Sie war eine 13-jährige lrish-Setter-Hündin. Von ihr lernten wir, dass alte Hunde fertige Persönlichkeiten sind, die zwar in Kleinigkeiten Kompromisse eingehen, aber im Großen und Ganzen so akzeptiert werden wollen, wie sie sind.
So war es zum Beispiel für Asta undenkbar, vor 11 Uhr morgens aufzustehen. Den ersten Spaziergang am Tag mussten wir also ohne sie machen oder sie war noch stundenlang muffig und beleidigt. Zwei Monate lang dachten wir, sie sei stocktaub, weil sie weder auf Rufen noch auf Pfeifen auch nur mit einem Wimpernzucken reagierte. Das sie uns mit Absicht ignorierte, merkten wir erst, als sie beim leisen Öffnen der Kühlschranktür oder beim Rascheln der Leckerchentüte sofort angelaufen kam. Irgendwie schien sie an dem Tag verstanden zu haben, dass sie durchschaut war, denn ab sofort hörte sie wirklich vorbildlich, und wir mussten nie mehr hinter ihr her rennen um sie zurückzuholen.
Über ein Jahr lang hat sie uns viel Freude bereitet. Als sie dann eines Abends in meinen Armen starb, brach zwar eine Welt zusammen, aber die Gewissheit, dass Asta und wir ein Jahr voller Freude und Zufriedenheit zusammen erleben durften, machte uns genauso stolz wie glücklich.
Nur wenige Wochen später kam Brigitte. Sie war ein Terriermischling. Die Tochter der verstorbenen Besitzerin wusste nur, dass sie vor 12 Jahren schon “ausgewachsen“ war. Brigitte war mit Abstand der hässlichste Hund, der mir je begegnet ist. Sie war nur so groß wie ein Cocker-Spaniel, hatte mehr als 10 kg Übergewicht, die Beine waren spindeldürr und das Gesäuge aufgrund häufiger Entzündungen riesig groß. Sie war so ungepflegt, dass ich die Autofahrt mit ihr nur bei offenem Fenster ertragen konnte.
Zu allem Übel wollte Brigitte auch gar nicht bei uns leben. Unser Haus war ungemütlich, die anderen Hunde gingen ihr auf die Nerven und wir waren ganz eindeutig schuld daran, dass sie nicht mehr bei ihrem Frauchen sein durfte.
Wir schleppten sie zum Tierarzt, stopften ihr dreimal täglich Tabletten in den Hals und zwangen sie zu Spaziergängen, wo sie für 500m mindestens eine halbe Stunde brauchte. Kurzum: wir quälten sie ihrer Ansicht nach aufs Schrecklichste!
Eine Woche lang verweigerte sie das Fressen, was angesichts ihrer Körperfülle nur von Vorteil sein konnte. Sie ließ sich nicht anfassen und schnappte nach uns, wann immer sie uns erwischen konnte. Soweit es ging haben wir sie einfach gewähren lassen. Wir sprachen sie zwar immer wieder freundlich an, aber akzeptierten, dass sie nicht angefasst werden wollte. Sie war zwar immer dabei, aber niemand drängte sich ihr auf.
Irgendwann hat sie dann ihre Meinung über uns überdacht. Sie fing an zu fressen, zeigte Interesse an ihrer Umwelt und legte sich zu mir aufs Sofa unter die Wolldecke. Es dauerte gar nicht lang und sie hing wie eine Klette an meinem Mann. Egal was sonst los war oder wie müde sie auch war, sobald er aufstand ging sie mit.
Dank einer konsequenten Diät und langsam gesteigerter Spaziergänge verlor sie ihr Übergewicht und kam richtig gut in Form. Nur ihre Haut behielt ihre ursprüngliche Größe, so dass sie mehr und mehr einem Gürteltier glich. Sie warf Falten über der Rute und am Hals und wurde niemals eine Schönheit. Aber mit gepflegtem, glänzendem Fell und ihren riesengroßen, dunklen Augen entwickelte sie sich zu einer einzigartigen Persönlichkeit, die man einfach lieben musste. Immer war sie morgens die erste, die uns begrüßte, und sie ließ keine Möglichkeit aus uns ihre Zuneigung zu zeigen.
Auch mit ihr blieben uns nur 1½ Jahre, aber jeder Tag war ein Gewinn.
Zur Zeit leben Tom und Blacky bei uns. Tom ist 11 Jahre alt und aufgrund lebenslanger Fehlernährung leberkrank. Seine Besitzerin wurde in ein Pflegeheim eingewiesen. Blacky ist schon 16 Jahre alt, aber genauso fit und aktiv wie ein Fünfjähriger. Er sollte eingeschläfert werden, als seine Besitzerin starb.
Wie die beiden Hündinnen vorher haben auch sie ihre Macken. Aber nach einiger Zeit fanden wir Kompromisse, die uns ein Zusammenleben ermöglichen und bereichern.
Leider sind viel zu wenige Menschen bereit, einen alten Hund aufzunehmen. Oft haben Eltern Angst, dass ihre Kinder den Tod eines Hundes nicht überwinden könnten, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder es verstehen, wenn ein Hund alt oder krank ist, und die gemeinsame Zeit mit ihm nur begrenzt ist. Natürlich muss vorher mit allen Beteiligten alles genau besprochen sein, Ein 10-jähriger Hund ist nun einmal kein Welpe mehr.
Das hat Nachteile, aber auch große Vorteile! Ein Welpe braucht Unmengen von Zeit und Arbeit und Geduld.
Er ist nicht stubenrein, kann nicht längere Zeit allein bleiben, zernagt Spielzeug und Möbel und braucht, wenn er ausgewachsen ist, lange Spaziergänge. Außerdem kann man nicht abschätzen, ob er sich vielleicht zum Angstbeißer oder zum dominanten Chef entwickelt. Ein Welpe birgt alle Chancen, aber auch alle Risiken, und auch er wird einmal alt und stirbt!
Ein älterer Hund ist eine kalkulierbare Größe. Man weiß, wie er sich im Umgang mit Kindern, Katzen und Artgenossen verhält.
Er hat schon gelernt sich im Haus ordentlich zu benehmen und wenn man einen Tag keine Zeit für einen Spaziergang hat, reicht es ihm auch einmal im Garten zu schnuppern und zu dösen. Gerade Menschen ohne Hundeerfahrung können viel von einem alten Tier lernen.
Zuletzt war da noch das Kleinspitzpärchen. Natürlich haben wir sie aufgenommen. Aber behalten können wir sie leider nicht. Sechs Hunde sind auch für uns mehr als genug. Inzwischen warten sie seit 9 Monaten auf ein neues Zuhause. Micky ist 8 Jahre alt und Daisy schon fast 11. Sie ist auf einem Auge blind, aber das stört nur die Menschen. Beide sind kleiner als eine Katze und kerngesund. Sie sind lieb, verschmust und vertragen sich mit Hund und Katz. Trotzdem will niemand sie haben! Weder Zeitungsinserate, noch Aushänge bei Tierärzten und Züchtern brachten Erfolg. Um ihnen eine letzte Chance zu geben, haben wir uns an den WDR gewendet. Sie werden bei “Tiere suchen ein Zuhause“ als Notfälle vorgestellt. Wenn sich auch darauf niemand meldet wissen wir nicht, was aus ihnen werden soll.
Dieser und ähnliche Fälle sind leider keine Seltenheit. Wenn SIE, der Sie jetzt diesen Artikel lesen, selbst schon älter sind oder für Ihren Hund Gesellschaft für die Zeit, während der Sie arbeiten, suchen, oder wenn Sie noch völlig unerfahren mit Hunden sind sollten Sie sich überlegen, ob es denn wirklich ein junger Hund sein muss.
Warum geben Sie nicht einem älteren, herrenlosen Tier ein neues Zuhause?
P.S.. Inzwischen sind Micky und Daisy dank Ihres Auftrittes im Fernsehen erfolgreich vermittelt. Wir danken besonders der Produzentin der Sendung, Frau Siebert, die uns sehr unterstützt hat, und natürlich der Moderatorin, Frau Ludwig.
nach oben zurück zum Tierschutz Startseite