Problemhunde
- mögliche Ursachen und Lösungsansätze
„Wir haben einen Problemhund!“ Diesen Satz hören wir in der Hundepension immer häufiger. Angsthunde, Angstbeisser, Aggressionen gegen Artgenossen, Allergiker, Hunde, die mit großen Medikamentenkoffern anreisen. Balljunkies, notorische Streuner, Hunde, die einfach alles fressen, nicht alleine bleiben können oder auf jeder Autofahrt erbrechen.
Wenn ich zurück denke, wie es war, als ich vor fast 30 Jahren meinen ersten Hund bekam, dann hat sich die Lage dramatisch zugespitzt. Natürlich gab es diese Probleme damals auch, aber nicht in diesem Umfang.
Woran kann das liegen?
Damals wurde ich belächelt, weil ich in eine Hundeschule ging. Heute ist fast jeder Hund dort- Welpenstunde, Junghundekurs, privater Trainer, Tierpsychologen. Oft wird das ganze Programm absolviert. Trotzdem nehmen die Probleme und Neurosen der Hunde zu.
Vielleicht ist es weil man sich damals einen Hund anschaffte, weil man einen Hund wollte. Heute wird oft ein Partner oder Kind-Ersatz gesucht.
Außerdem gehört es zum Gesellschaftsbild, dass man einen Hund hat. Dieser Hund muss ein gewisses Ideal erfüllen, denn man wird ja gesehen. Also nimmt man einen modernen Rassehund oder zeigt seine soziale Seite, in dem man einen Hund aus einer „Tötung“ rettet.
Wenn man das mit Bedacht und guter Überlegung tut, sich seiner eigenen Ansprüche und Fähigkeiten bewusst ist, ist da auch gar nichts einzuwenden, aber oft werden die Entscheidungen nicht mit dem Verstand, sondern der Emotion getroffen und dann wird es schwierig.
Dem Hund wird jede Aufmerksamkeit zuteil. Keine Bewegung, kein Atemzug bleibt unbemerkt. Alles wird registriert, analysiert und therapiert.
Der Hund befindet sich praktisch 24 Stunden am Tag in einer Prüfungssituation.
Wer sich jetzt mal zurück erinnert, wie er selbst sich gefühlt hat, bei der letzten wichtigen praktischen Prüfung, einem Examen oder der Vorstellung der Abschlussarbeit, bekommt eine Idee davon welchem Stress der Hund dadurch permanent ausgeliefert ist.
Genau wie der Mensch macht der Hund unter Stress Fehler, die ihm unter „normalen“ Bedingungen niemals passiert wären.
Konnte der Hund vor 30 Jahren noch den halben Tag selig verschlafen, wird er jetzt gefördert und gefordert und genervt.
Ich sehe da gewisse Parallelen zur Kindererziehung. Statt Freizeit, Kreativität und gelegentlich auch mal Langeweile trägt jetzt ein straffer Zeitplan die Kleinen durch den Tag. Es muss in jungen Jahren schon Leistung gebracht werden, an der die Eltern in ihrer Qualität gemessen werden.
Mit der gleichen Einstellung wird sich auch dem Hund gewidmet. Durchaus in großer Liebe und mit der besten Absicht, aber leider völlig ohne Verständnis für die Natur des Hundes.
Was braucht ein Hund zum Glück?
Eigentlich ganz wenig: ein sicheres Umfeld, verlässliche Sozialpartner, ausreichend Nahrung, mehr nicht. Aber das ist in der heutigen Zeit kaum zu finden, denn ein „sicheres Umfeld“ bedeutet nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch einen souveränen Rudelführer, der die Sicherheit der Gruppe garantiert. Nur dann kann man entspannt sein, denn wenn Gefahr aufzöge würde man geschützt oder zumindest gewarnt.
Wenn der Mensch aber nur gehetzt und gestresst durchs Leben rennt, selber niemals Ruhe findet und bei der kleinsten ungewohnten Situation („Hilfe, da kommt ein Hund, den ich nicht kenne!“) in Schnappatmung verfällt, dann weiß der Hund, dass er hier gewiss nicht sicher ist und er wird sein Verhalten dem anpassen.
Wenn sie sich zur Begrüßung ihres Hundes vor Glück quietschend auf den Boden schmeißen und hochfrequente Freudentöne ausstoßen, weiß der Hund, dass von ihnen wirklich gar nichts zu erwarten ist, denn sie haben sich ihm gerade auf eindrucksvolle Art und Weise unterworfen.
Die mutigen Hunde nehmen nun das Zepter selbst in die Hand und übernehmen die Chefrolle, andere werden immer unsicherer und entwickeln zum Teil massive Ängste oder Neurosen.
Dann dreht sich das Karussell schneller. Mehr Training, mehr Therapie, mehr Unsicherheiten, mehr Probleme.
Wenn man erkennt, dass der Hund nicht das Problem, sondern nur das Symptom ist, kann man sich viel Geld sparen. Denn nicht der Hund braucht eine Therapie, sondern der Mensch mehr Chefqualitäten.
Der Satz „der Hund braucht einen starken Rudelführer“ ist sehr in die Kritik geraten, aber was ist denn ein „starker Rudelführer“?
Gewiß niemand, der mit Brutalität, Gewalt und Geschrei den Hund um jeden Preis bis zur völligen Aufgabe unterwirft. Das wäre ein hirnloser Diktator, dem niemand– weder Mensch noch Hund- vertrauensvoll folgen würde.
Aber es ist auch niemand, der bei jedem kleinen Problemchen hysterisch nach einem Stühlchenkreis mit Moderator ruft, bevor er eine Entscheidung trifft.
Hauptmerkmal eines guten Anführers ist eine ruhige Sicherheit. Er signalisiert alleine durch seine Körpersprache, dass man da wo er ist, nichts zu befürchten hat. Er ist jederzeit Herr der Lage, hat alles im Griff und kennt den gefahrlosen Ausweg für sich und die Seinen aus jeder Situation. Wenn der Mensch diese Rolle möchte, muss er Verlässlichkeit garantieren.
Bringen Sie ihren Hund also niemals in eine Situation, die sie nicht beherrschen können.
Wenn sie wissen, dass ihr Hund Probleme mit Artgenossen hat, gehen sie mit ihm nicht in ein Getümmel, sondern halten erst mal ausreichend Abstand. Bewahren sie Gelassenheit, atmen sie ruhig und notfalls verbitten sie sich wildes Gebaren und ziehen sich noch weiter zurück. Im Laufe der Zeit- und gemeint sind Wochen bis Monate- werden sie die Distanz zu den anderen verringern können, bis sie irgendwann problemlos mit ihrem Hund an den anderen vorbei gehen können, wobei er seine Gegner geflissentlich ignoriert.
Geben sie ihrem Hund kein Kommando, das sie nicht durchsetzen können.
Durch 10x hysterisch „Komm her!“ rufen kommt der Hund doch nicht und lernt dabei nur, dass sie ein zahnloser Tiger sind, dem man keine Beachtung schenken muss.
Rufen sie nur, wenn sie sicher sind, dass der Hund kommen wird. Ansonsten gehen sie freundlich zu ihm hin, leinen ihn an und nutzen zukünftig eine Schleppleine, bis das Kommando auch in Stresssituationen sicher befolgt wird.
Versuchen sie doch einfach mal ihren Erziehungsansatz zu verändern.
Nicht das Unerwünschte wird bestraft, sondern solche Situationen vorausschauend vermieden oder durch völliges Ignorieren belanglos gemacht und stattdessen wird erwünschtes Verhalten durch intensives Lob (mit ruhiger Stimme, Streicheln, Futter) bestätigt und verstärkt.
Akzeptieren sie, dass ihr Hund eine eigenständige Persönlichkeit ist und als solche geliebt werden möchte. Nicht jeder ist ein Frühaufsteher, nicht jeder liebt ständigen Körperkontakt und manchmal ist ein Mauseloch das Interessanteste der ganzen Welt.
Lernen sie die Vorlieben ihres Hundes kennen und ermöglichen sie ihm Freiräume ohne ständige Beobachtung, Analyse und Kommentare (damit ist natürlich nicht Streunen und Jagen gemeint, sondern Freiraum im gesicherten Bereich)
Falls sie noch in der Planungsphase sind und die Anschaffung eines Hundes noch bevorsteht, achten sie auf die Wahl der geeigneten Rasse.
Es macht durchaus einen Unterschied, ob ein Hund die Liebe zur Jagd, den Wunsch zu beschützen oder den Wunsch seinem Menschen alles recht zu machen in den Genen hat.
Ein besonderes Kapitel sind hierbei die Herdenschutzhunde, oft liebevoll „Herdis“ genannt.
Nun ist so ein „Herdi“ natürlich kein aggressives Monster als das er manchmal verschrien wird, aber durchaus eine Nummer für sich.
Er wurde gezüchtet, um Hof und Tiere seines Herrn zu beschützen, wenn der nicht anwesend ist und das tut er sehr eindrucksvoll. Mit einer Größe von nicht selten 70cm Rückenhöhe und 50-60kg geballte Muskelmasse, hat er eine Präsens, die durchaus beeindruckt.
Ist der Besitzer aber anwesend und wird von dem Hund als Rudelführer akzeptiert- traut der Hund ihm also zu, dass er in der Lage ist Freund und Feind zu unterscheiden- wird der Hund sich zurück nehmen und Besuch kann problemlos sein Revier betreten.
Allerdings sind Herdenschutzhunde keine Schleimer. Bedingungsloser Gehorsam, wie er z.B. von Hütehunden erwartet wird, ist nicht ihr Ding. Ein Kommando wird als Vorschlag empfunden, den man überdenkt und falls der Kommandierende als Respektperson angesehen wird, auch ausführt.
Diesen Respekt muss man sich aber erst verdienen. Kommt ein „Herdi“ in eine für ihn als bedrohlich eingeschätzte Situation, obwohl sie bei ihm sind oder fühlt er sich von ihnen bei Gefahr im Stich gelassen, werden sie Monate brauchen, um ihren Fehler wieder gutzumachen.
Wenn sie kein Mensch sind, der in sich ruht, wenn sie wissen, dass sie nicht konsequent sind, kurzum, wenn sie keine geborene Führungspersönlichkeit sind, dann lassen sie die Finger von den Herdenschutzhunden und werden glücklich mit einem Labrador oder Collie.
Nicola Berg, September 2018