Hof Groß-Langenbach

die Hundepension mit Herz und Verstand in Friesenhagen

 

 

Entlaufener Hund – was tun?

Kibos Weg

 

Es war ein Tag wie jeder andere, an dem ich den kleinen Hund, der später den Namen „Kibo“ bekommen sollte, zum ersten Mal sah.

Wie immer hatte der Tag viel Arbeit, Stress und Rennerei gebracht. Jetzt, kurz vor Feierabend, musste ich noch schnell einkaufen und dann zügig nach Hause fahren. In Gedanken war ich schon bei der Zubereitung des Abendessens, als mir ein weißer Hund fast ins Auto lief. Ich konnte nur schnell ein Foto aus dem Auto heraus schießen, dann verschwand der Kleine schon im Wald.

Er hatte mir verstört und erschöpft gewirkt und weil bei meinen Einkäufen auch Hundefutter war, hielt ich kurz an, ging ein paar Meter den Waldweg rein und sah den Hund, der mich aus größtmöglicher Entfernung, ängstlich und zur Flucht bereit, beobachtete.

Also kippte ich das Futter demonstrativ auf einen größeren Stein, drehte mich um und fuhr weg.

Meine Gedanken schlugen Salto. Was ist jetzt das Richtige? Zum Glück war das Foto brauchbar.

Zuerst klärte ich bei Freunden ab, ob der Hund im Ort bekannt war. Innerhalb weniger Minuten war klar, dass er zwar schon seit ein paar Tagen immer wieder mal in der Region gesehen wurde, aber kein Besitzer bekannt war.

 

In so einem Fall müssen umgehend offizielle Stellen informiert werden: das zuständige Tierheim, Polizei und Ordnungsamt, TASSO, das bundesweit arbeitende Tierregister.

Man muss melden: Wie sah der Hund aus? Wann und wo wurde er gesichtet? In welche Richtung lief er weg?

Oft hat sich der Besitzer schon bei mindestens einer dieser Stellen gemeldet. Den kleinen Weißen vermisste scheinbar niemand.  

Jetzt musste das Suchfeld erweitert werden und dabei sind die sozialen Medien sehr hilfreich. Obwohl es bereits abends war, als ich das Foto mit den Angaben zu Sichtungsort und –zeit gepostet hatte, bekam ich noch am selben Tag mehrere Hinweise und Hilfsangebote.

Ich erfuhr, dass es sich um einen cremefarbenen Shiba Inu handelte, sprach mit anderen Personen, die den Hund zuvor auch schon gesehen hatten und wir beschlossen an einem Strang zu ziehen. Wir sprachen uns ab, teilten die Aufgaben unter uns auf und blieben immer eng in Kontakt.

Fest stand zu dem Zeitpunkt: die Sichtungsorte lagen viele Kilometer auseinander, der Hund lief fast immer über die Fahrbahn, er war sehr scheu bei Menschen, zeigte aber Interesse für andere Hunde.  

Wir beschlossen uns Rat bei Profis zu holen. Es gibt in Deutschland mehrere Organisationen, die sich auf das Sichern streunender oder verwilderter Tiere spezialisiert haben und alle Gerätschaften, die man eventuell benötigt, zur Hand haben.

Von dort bekamen wir eine to-do-Liste. Wir sollten alle Sichtungsorte mit Datum und Uhrzeit auflisten, dann diese Punkte auf einer Straßenkarte markieren und die Laufwege des Hundes einzeichnen.

Mit Hilfe dieser Karte konnte man Punkte ausfindig machen, an denen der Hund häufiger vorbei kommt. An dem Punkt, der uns am geeignetsten erschien, errichteten wir eine Futterstelle.

Mehrmals täglich kontrolliert man dort ruhig und unaufdringlich. Wurde das Futter angenommen? Mit Hilfe einer Wildkamera kann man kontrollieren, ob der Hund das Futter genommen hat oder ob sich ein anderes Tier bedient hat.

Wenn der Hund 2-3 Tage die Futterstelle sicher angenommen haben würde, könnten die Profis dort einen Fangkäfig aufbauen, in dem der Hund gesichert werden könnte.

 

Außerdem sollten wir die Bevölkerung informieren. Das war sehr zeitaufwendig, denn Kibo lief weit. In einem Gebiet von 25km Durchmesser lief er teilweise mehrfach täglich im Kreis.

Das Problem waren Menschen, die es überaus gut meinten und versuchten dem Hund zu helfen. Immer wieder wurde Kibo vertrieben. Man versuchte ihn anzulocken, zu ergreifen oder man lief hinter ihm her, um ihn einzuholen. Es gab kaum eine Stelle, an der er sich längere Zeit aufhielt.

Wir machten Aufrufe im Internet, verteilten selbst gestaltete Flyer, sprachen mit unzähligen Menschen. Jeder im Bereich sollte wissen, wie er sich richtig verhält:

 den Hund nicht anstarren,

nicht ansprechen,

nicht hinterher laufen.

Nur den Sichtungsort mit Laufrichtung und Uhrzeit so schnell wie möglich bei uns melden. 

  

 

 

 

Es gibt nur eine einzige Möglichkeit einem streunenden Angsthund noch anders zu helfen und ob die funktioniert entscheidet der Hund.

Wenn man mit dem eigenen Hund spazieren geht und der Streuner sich entschließt hinterher zu  laufen, kann man versuchen „zufällig“ ein sicher eingezäuntes Grundstück zu erreichen und, falls sich der Streuner entschließt mit durch das Tor zu gehen, dieses ruhig zu verschließen. Dabei sollte man ihn komplett ignorieren. Nur wenn man entspannt und unaufgeregt agiert wird der Hund die Falle vielleicht nicht erahnen und flüchten.

Ist er auf dem Grundstück gesichert ruft man die Profis von der Tierrettung oder dem Tierheim an und lässt ihn selbst komplett in Ruhe.  

Tagelang sind wir rumgefahren, haben mit Postboten, Busfahrern, Landwirten und Anwohnern gesprochen. Es wurden neue Whatsapp-Gruppen für Kibo gegründet.

Die verschiedensten Ortsvereine, egal ob Feuerwehr, Musikverein oder Bürgerinitiative, informierten ihre Mitglieder.

In Kindergarten und Dorflädchen hingen unsere Flyer.

Innerhalb weniger Tage war der gesamte Laufbereich vernetzt. Kibo war in aller Munde und die Sichtungsmeldungen kamen mit immer weniger Zeitverzögerung bei uns an.

Da es häufig hieß „Der war mitten auf der Fahrbahn und ist fast überfahren worden“ lagen unsere Nerven blank.  

Genau eine Woche, nachdem ich Kibo zum ersten Mal gesehen hatte, war ich wieder beim Einkaufen. Ich hatte gerade den Heimweg angetreten, als per Telefon gemeldet wurde, dass er gerade ganz in der Nähe gesehen worden war und tatsächlich sah ich ihn an derselben Stelle im Wald verschwinden, wie in der Woche zuvor.

Seit Tagen fuhr ich mit „Notfalltasche“ umher und deshalb konnte ich ihm wieder an dieselbe Stelle Futter legen, bevor ich das letzte Stück bis nach Hause fuhr.

 

Eine Stunde später packte ich meinen beiden nettesten Hündinnen ins Auto. Falls Kibo noch in der Nähe war, wollte ich ihm einen Grund geben mir zu folgen.

Tatsächlich war das Futter noch unberührt und da er noch nie im Bereich des anderen Endes des Weges gesehen worden war, ging ich davon aus, dass er nicht weit entfernt einen Ruheplatz gefunden hatte.

Also nahm ich meine beiden Mädchen an die Schleppleine und ging, leise Selbstgespräche führend, den Weg spazieren. Es war mir wichtig, dass ich Kibo nicht erschreckte, er sollte mich kommen hören und für ungefährlich halten.

Nach ca. 500m sah ich ihn! Er lag zusammengerollt in einer Kuhle und hatte offensichtlich geschlafen. Weiter plaudernd setzte ich mich mit dem Rücken zu ihm auf den Boden und schickte Jeannie und Püppi vor – die ehemalige Angsthündin und ihre Tochter sollten Kibo davon überzeugen, dass ich harmlos war.

Der Plan ging auf. Kibo fand besonders Jeannie unwiderstehlich und als ich langsam aufstand, die Hündinnen zu mir rief, anleinte und langsam schlendernd wieder Richtung Auto ging, folgte er uns in geringem Abstand.

Ich bemühte mich gleichgültig zu wirken und linste immer nur kurz nach hinten, um zu sehen, ob er mitkam. Blieb er stehen, machte auch ich eine Pause, um die Mädchen zu streicheln oder Leckerchen zu verteilen. Manchmal fiel mir „aus Versehen“ auch eines runter, so dass Kibo auch etwas abbekam. Aber nie schenkte ich ihm offensichtliche Aufmerksamkeit.  

 

So trödelten wir uns zu viert fast 2km durch den Wald bis zu unserem Hof. Ich konnte unsere Haustür schon sehen, als Kibo plötzlich umdrehte und den Weg schnell zurück lief, den wir gerade gekommen waren.

So nah am Ziel und dann alles umsonst. Ich war wahnsinnig enttäuscht!

 

 

Ich informierte das Team und wir beschlossen zusätzlich zu der ersten Futterstelle eine weitere dort einzurichten, an der ich bereits 2x eher aus Zufall Futter hingestellt hatte.

Am Abend, nach getaner Arbeit, packte ich Futter, Wasser und eine Wildkamera ins Auto, verließ den Hof, bog um die erste Kurve und traute meinen Augen nicht: am anderen Ende des Weges, keine 300m entfernt, lief Kibo – auf mich zu!

 

Ich bin noch nie so schnell rückwärts gefahren. Ich rief meiner Familie dabei zu „Macht den Hof leer, holt die Mädchen, der Hund kommt!“ Mein Herz schlug bis zum Hals.

Eine solche Szene hätte ich in einem Kitschfilm erwartet, aber doch nicht in Wirklichkeit.  

Ich schnappte mir Jeannie und Püppi und war mit ihnen gerade „ganz zufällig“ am Tor angekommen, als Kibo um die Kurve bog.

Leise plaudernd bin ich mit den Mädchen in das erste freie Gehege gegangen und habe mich am anderen Ende auf den Boden gesetzt. 

Diesmal folgte uns der Rüde durch das Hoftor bis vor das Gehege, aber nicht mit rein. Man sah, dass er der Lage nicht ganz traute und nach einem Ausweg suchte.

Anstatt aber wieder rumzudrehen gab er Gas, rannte geradeaus durch das nächste offene Tor und landete so im zweiten freien Gehege.

Während er am anderen Ende den Ausgang suchte, konnte ich das Tor schließen und voller Glück durchatmen. Kibo war gesichert.

 

 

Wir haben Jeannie und Püppi zu ihm ins Gehege getan, frisches Wasser hingestellt und ihn erst mal zur Ruhe kommen lassen. Später haben wir ihn mit Trick 17 angeleint und in einem Zwinger untergebracht.  

 

 

Jetzt beginnt eine andere Arbeit, denn Kibo ist ein Angsthund und er hat zurzeit keinerlei Interesse an menschlicher Gesellschaft.

Aber er ist clever und wird es lernen, denn schon jetzt kann man in seinen Augen lesen, dass er jemand ganz Besonderes ist.

 

Niemand weiß, wo er herkam, aber wir werden alles daran setzen, dass sein Weg im Glück endet.

„Kibo“ ist japanisch und bedeutet Hoffnung!

 

Nachsatz:

Jedem, der vor der Aufgabe steht, einen streunenden Hund einfangen zu müssen, kann ich nur ein solches Team wünschen, wie ich es gefunden habe.

Elaine, Anja, Mandy, Dana – ihr seid die Größten! 

 

 

 

wichtige Ansprechpartner im Notfall: 

Polizei                                                 :      110 

Ordnungsamt 

Tierheim 

Tasso, 24-Stunden-Notruf-Hotline   :      06190 - 937300

Dogman Tierhilfe eV, Notruftelefon:      0172 - 2164431